Pfr. Dr. Achim Detmers
In den 80er Jahren habe ich meinen Zivildienst in einem kommunalen Jugendzentrum absolviert. In der Jugendstil-Villa fanden regelmäßig Jazz-Musikveranstaltungen statt. Ich war u. a. für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, und dazu gehörte auch das Kleben und Aufhängen von Plakaten. Gleich zu Beginn meiner Tätigkeit war Albert Mangelsdorff zu Gast. Als ich die Plakate ausrollte, war dort nur eine Posaune abgebildet, mit der er dann das Konzert solo bestritt.
Mangelsdorff hatte damals gerade mehrere wichtige Auszeichnungen gewonnen. Doch ob das genügen würde, hinreichend Publikum für das Jazz-Konzert eines Soloposaunisten anzuziehen, war unklar. Zur Veranstaltung kamen ca. dreißig Gäste ins Jugendzentrum. Sie waren gespannt, wie ein Solokünstler mit einem doch recht begrenzten Instrument das fast zweistündige Konzert bestreiten würde. Für mich wurde es zu einem denkwürdigen Abend: Wie Mangelsdorff das etwas reservierte Publikum mit seinem Spiel herausforderte und irritierte, ist mir selbst nach mehr als 30 Jahren immer noch in Erinnerung.
Unvergesslich bleibt mir, wie er mit der Mehrstimmigkeit seiner Improvisationen die ZuhörerInnen im Raum zum erweiterten Klangkörper machte, in denen – wie bei mir bis heute – das Buup-Buup-Baba-Buup! nachhallt.
Ich wünsche unserer (evangelischen) Kirche (die gehörig in die Krise geraten ist und viel Energie aufwendet, das nicht merken zu müssen) beständig Freiräume, blaue Kirche zu sein: mit Klängen, die sich nicht als Hintergrund- oder Begleitmusik fortwährender Strukturreformen eignen, die anarchische und dekonstruktivistische Züge aufweisen, die helfen, das unbekannte Bekannte irritierend neu zu hören, mit Klängen, die zum verdichteten Nachhall einer anderen Welt(von)Kirche werden.
Hannover, am 17. Januar 2018