13.2.18 / Tages-Anzeiger / Zürich
Carmen Roshard
Vor genau zehn Jahren hat der reformierte Küsnachter Pfarrer René Weisstanner seinen ersten Jazz-Gottesdienst abgehalten. Damals, sagt der mittlerweile zum Connaisseur des Jazz avancierte Theologe, sei das eine ungewöhnliche
Kombination gewesen. Er erinnert sich an ein Zusammentreffen mit dem Jazzmusiker Yves Theiler, der von ihm wissen wollte, wie das eigentlich zusammengehe, Jazz und Kirche. «Das konnten sich Jazzmusiker damals nicht recht vorstellen,
und noch heute stehe ich gelegentlich vor der Situation, dass ich skeptischen Kirchenbesuchern zu erklären versuche, dass Jazz ganz wunderbar in die Kirche passt, weil er näher bei den heutigen Menschen und ihrer Gefühlswelt ist als 300 Jahre alte Kirchenmusik», sagt Weisstanner.
Jazz findet in die Kirche zurück
Und wie verbindet man Kirche und Jazz? Man dürfe nicht vergessen, so der musikalische Pfarrer, dass Jazz seine Wurzeln auch in der Kirchenmusik habe und heute, nach einer langen und bewegten Geschichte, langsam wieder in die Kirche zurückfinde. Man könne die Texte vieler Standards als oberflächlich und überaus weltlich bezeichnen, aber gerade darin liege für ihn eine der Herausforderungen: nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich die Gefühlswelt des Jazz mit unserem religiösen Empfinden zusammenzubringen. Der Jazz lebe bekanntlich von der Improvisation, sagt René Weisstanner, von den Freiräumen zwischen den Notenlinien. «Das wäre sozusagen die Königsdisziplin, wenn Jazzimprovisation und Textimprovisation einander gegenseitig durchdringen
und dabei etwas unerwartet Neues entstünde.» Mit starren Texten und durchkomponierter Kirchenmusik sei dies kaum möglich, «da liegt im Jazz ein ungeahntes Potenzial».
Pfarrer mit Familientrio
Für seinen zehnten Jazz-Gottesdienst hatte sich der musikbegeisterte Küsnachter Pfarrer eigentlich ein kleines Jubiläum
gewünscht – jetzt ist sogar mehr daraus geworden. Neu findet nicht mehr nur einmal pro Jahr ein Jazz-Gottesdienst statt, sondern siebenmal in der Küsnachter Kirche und zweimal in Meilen. Diese Reihe ist übrigens Teil der «Kulturkirche Goldküste», die an sieben Wochenenden mit jeweils vier sogenannten Profilgottesdiensten von traditionell über Kunst und Pop bis hin zu Jazz verschiedene Lebenswelten abdeckt, wie Pfarrer Weisstanner sagt. Und weil es nun mehr zu tun gibt, hat er sich für die Reihe «Jazz + More» seine Pfarrkollegin Anne-Käthi Rüegg-Schweizer aus Zollikon ins Boot geholt. «Neue
Formate zu schaffen, zu entwerfen und umzusetzen, macht mir grosse Freude», sagt Weisstanner, der privat auch selbst
am Jazzpiano sitzt, zusammen mit seiner Frau am Bass und seinem Sohn am Schlagzeug. «Ein Familientrio, um das mich sogar Jazzmusiker beneiden.» Der Auftakt der Reihe «Jazz + More» Anfang Februar mit dem Thierry Lang Trio sei jedenfalls gelungen, sagt Weisstanner nicht ohne Stolz. «Die grosse Kirche in Küsnacht war voll.» Am 2. März nun steht die Bassistin Jojo Kunz auf dem Programm. Mit dabei hat die bekannte Zürcher Kontrabassistin die junge Sängerin Natalie Andreae und den Zürcher Gitarristen Felix Utzinger.
Jahresprogramm auf: www.rkk.ch